Buch der Woche: Adrian Streich Architekten

Zeitzeugnis

Für die aus einer imaginierten Zukunft getätigte Reflexion heutigen Handelns wird gerne die Frage herangezogen, was wohl unsere Kinder oder Enkel dereinst zu all dem sagen werden. Weniger moralinsauer kommt da die gedankliche Konstruktion des Futur zwei her, die unter anderen Harald Welzer in den Diskurs eingeführt hat und danach fragt, wie wir gelebt haben wollen. Wir denken uns also in ein theoretisches zukünftiges Ich hinein und befragen dieses nach der Art und Weise, wie wir aus dieser vorgestellten Zukunft auf unsere Handlungen in dem bis ins tatsächliche Heute reichenden Zeitraum schauen.

Wohnhaus Diener-Areal, Zürich-Schwamendingen, Foto: Roger Frei

Wohnhaus Diener-Areal, Zürich-Schwamendingen, Foto: Roger Frei

Mit Blick auf die Architektur und die Frage, was in den Jahren rund um 2020 als architektonisch bemerkenswert gegolten haben wird, wird die von Axel Simon herausgegebene Werkschau des Zürcher Büros Adrian Streich Architekten „Bauten + Projekte 2001–2019“ später einmal ein gutes Zeitzeugnis ablegen. Der 1966 in Zürich geborene Architekt konnte mit seinem Team – nach gewonnenem Wettbewerb – zwischen 2001 und 2007 die Wohnsiedlung Werdwies in Zürich-Altstetten realisieren. Seitdem ist eine stattliche Anzahl weiterer Projekte zusammen gekommen, die meisten davon in und um Zürich herum. 27 Bauten und Projekte zeigt das umfängliche Buch ausführlich mit Fotos, Plänen und erläuternden Texten. Derore Architekturthetiker André Bideau beleuchtet die Arbeit des Büros „im Archipel Zürich“ in einem abschließenden Essay.

Umnutzung Schufabrik Hug, Dulliken, Foto: Roger Frei

Umnutzung Schufabrik Hug, Dulliken, Foto: Roger Frei

Die Werkschau bringt alles mit, um einer Befragung unserer Zeit in der Zukunft Auskunft zu geben. Darüber, was wir schön fanden, wie wir Grundrisse konzipierten, wie wir Wohnen verstanden, welche Materialien wir dafür bevorzugten und auch, wie wir all das grafisch aufbereiteten. Es ist die erste Monographie über die Arbeiten von Adrian Streich Architekten, Esther Rieser hat sie in deutlich zeitgenössischem Duktus gestaltet – die Stiftung Buchkunst hat dies mit der Auszeichnung als eines der schönsten Bücher 2020 honoriert. Der Preis ist nachvollziehbar. Die Begeisterung für die Architektur Streichs in den Fachmedien wie auf verschiedenen Social Media-Kanälen ebenfalls. Es sind Architekturen, wie wir sie seit einigen Jahren feiern: weil sie Stadt an ihren Rändern weiter denken, weil sie Grundrisse, die in ihrer Offenheit unserer Zeit entsprechen, in Neu- und Altbauten anbieten, weil dem Umbau und Renovierung eines Stadthauses in der Gotthardstraße in Zürich Engen oder der Umnutzung der alten Spinnerei auf dem Kunz-Areal in Windisch ebenso viel Platz eingeräumt wird wie dem Neubau der Wohnhäuser in der Forchstraße in Zürich-Hirslanden.

Aufschlussreich ist auch das dokumentierte Gespräch, das Herausgeber Axel Simon mit Adrian Streich geführt hat. Dabei erklärt Streich sowohl seine Auffassung vom Architekten als Generalisten und seine unterschiedlich gelagerten Vorgehensweisen im Entwurf, auch geht er auf die Möglichkeiten ein, was die natürlichen Grenzen experimentellen Wohnungsbaus sind und darauf, was für ihn Experiment in der Architektur überhaupt ist – nämlich gebaute Empirie. Das Buch jedenfalls wird ganz sicher ob seiner schönen Grafik und der dargestellten guten Architektur deutlich als Kind unserer Tage erkannt werden.

Axel Simon (Hrsg.): Adrian Streich Architekten. Park Books, Zürich 2019

Axel Simon (Hrsg.): Adrian Streich Architekten. Park Books, Zürich 2019

Das Buch, das ob seiner schönen Grafik und der dargestellten tollen Architektur einmal so deutlich als Kind unserer Tage erkannt werden wird, die Architektur von Adrian Streich Architekten und damit wir als Gesellschaft, wird sich aber eben auch fragen lassen müssen, warum wir allzu lange an einem Baustoff wie Beton festgehalten haben, ja, ihn formalästhetisch überhöht und in einem Maß verwendet haben, wie es vor dem Hintergrund eines globalverantwortlichen Handels guten Gewissens längst nicht mehr vertretbar war.
David Kasparek

Axel Simon (Hrsg.): Adrian Streich Architekten. Bauten + Projekte 2001–2019, 452 S., 261 farb. und 332 sw. Abb., Park Books, Zürich 2019, 77,– Euro, ISBN 978-3-03860-135-7

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